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Die 1947 in der Nachkriegszeit, von Wolfgang Borchert veröffentlichte Kurzgeschichte 'Nachts schlafen die Ratten doch' beschreibt Folgen, Eindrücke und persönliche Schicksale der Kriegszeit durch das Gespräch zwischen dem neunjährigen Jürgen, der den Leichnam seines Bruders davor bewacht von Ratten gefressen zu werden und einem namenlosen und gesichtslosen Mann. Hierbei übernimmt der alte, anonyme Mann die Funktion einer Vater- und Fürsorgeperson, die den traumatisierten jungen Knaben langsam und behutsam wieder zurück ins Leben führt (adsbygoogle = bygoogle || [])({});. Es ist eine authentische Momentaufnahme aus einer Zeit, die von Zerstörung, Leid und Fassungslosigkeit nur so geprägt ist. Die Nacht bricht ein und es wird dunkel in einer namenlosen, verwüsteten und zur damaligen Zeit in Deutschland wohl typischen Straße. Der neunjährige Jürgen sitzt verwahrlost, müde und alleine zwischen den Mauerresten und Trümmern eines von Kriegsbomben zerstörten Hauses. Ein alter Mann, mit krummen, abgemagerten Beinen kommt auf ihn zu, spricht ihn an und setzt sich zu ihm.
Für unsere zweite Interpretationsübung machen wir einen Zeitsprung von fast 150 Jahren und wählen eine Erzählung, die am Ende des Zweiten Weltkriegs entstanden ist. Der junge Autor Wolfgang Borchert, im Jahr 1947 im Alter von nur 26 Jahren an einer Lebererkrankung in einem Sanatorium in Basel verstorben, war während des Krieges mehrfach wegen seiner Kritik am Nationalsozialismus inhaftiert worden und hat die Unmenschlichkeit und den Schrecken des Zweiten Weltkriegs in seinen Kurzgeschichten und Gedichten immer wieder thematisiert. Zu seinen berühmtesten Erzählungen gehört ein weiterer Lesebuch-Klassiker, nämlich die Kurzgeschichte "Nachts schlafen die Ratten doch". Hier ist sie: Wolfgang Borchert, Nachts schlafen die Ratten doch (1946) Das hohle Fenster in der vereinsamten Mauer gähnte blaurot voll früher Abendsonne. Staubgewölke flimmerten zwischen den steilgereckten Schornsteinresten. Die Schuttwüste döste. Er hatte die Augen zu. Mit einmal wurde es noch dunkler. Er merkte, dass jemand gekommen war und nun vor ihm stand, dunkel, leise.
"Unser Lehrer. " "Und du passt nun auf die Ratten auf? " fragte der Mann. "Auf die doch nicht! " Und dann sagte er ganz leise: "Mein Bruder, der liegt nämlich da unten. Da. " Jürgen zeigte mit dem Stock auf die zusammengesackten Mauern. "Unser Haus kriegte eine Bombe. Mit einmal war das Licht weg im Keller. Und er auch. Wir haben noch gerufen. Er war viel kleiner als ich. Erst vier. Er muss hier ja noch sein. Er ist doch viel kleiner als ich. " Der Mann sah von oben auf das Haargestrüpp. Aber dann sagte er plötzlich: "Ja, hat euer Lehrer euch denn nicht gesagt, dass die Ratten nachts schlafen? " "Nein", flüsterte Jürgen und sah mit einmal ganz müde aus, "das hat er nicht gesagt. " "Na", sagte der Mann, "das ist aber ein Lehrer, wenn er das nicht mal weiß. Nachts schlafen die Ratten doch. Nachts kannst du ruhig nach Hause gehen. Nachts schlafen sie immer. Wenn es dunkel wird, schon. " Jürgen machte mit seinem Stock kleine Kuhlen in den Schutt. "Lauter kleine Betten sind das", dachte er, "alles kleine Betten. "
Da sagte der Mann (und seine krummen Beine waren ganz unruhig dabei): "Weißt du was? Jetzt füttere ich schnell meine Kaninchen und wenn es dunkel wird, hole ich dich ab. Vielleicht kann ich eins mitbringen. Ein kleines oder, was meinst du? " Jürgen machte kleine Kuhlen in den Schutt. "Lauter kleine Kaninchen. Weiße, graue, weißgraue. " "Ich weiß nicht", sagte er leise und sah auf die krummen Beine, "wenn sie wirklich nachts schlafen. " Der Mann stieg über die Mauerreste weg auf die Straße. "Natürlich", sagte er von da, "euer Lehrer soll einpacken, wenn er das nicht mal weiß. " Da stand Jürgen auf und fragte: "Wenn ich eins kriegen kann? Ein weißes vielleicht? " "Ich will mal versuchen", rief der Mann schon im Weggehen, "aber du musst hier so lange warten. Ich gehe dann mit dir nach Hause, weißt du? Ich muss deinem Vater doch sagen, wie so ein Kaninchenstall gebaut wird. Denn das müsst ihr ja wissen. " "Ja", rief Jürgen, "ich warte. Ich muss ja noch aufpassen, bis es dunkel wird. Ich warte bestimmt. "