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Die Schaubühne Berlin zeigt im online-Stream: Jugend ohne Gott In einer Fassung von Thomas Ostermeier und Florian Borchmeyer Alltag an einem Provinzgymnasium in totalitären Zeiten. Die rechtsextreme Partei der »reichen Plebejer« hat die Macht übernommen und »zieht sich in den Turm der Diktatur zurück«. Die Bürger_innen werden auf einen kommenden Krieg eingeschworen, die Medien gleichgeschaltet, die Lehrpläne nationalistisch umgeschrieben. Mit einem Mal soll der Geschichtslehrer der Schule eine chauvinistische Ideologie lehren, die er zwar ablehnt, aus Angst und Antriebslosigkeit aber nicht kritisiert. Als der Lehrer es dennoch wagt, die hetzerisch-rassistischen Ausfälle in einem Aufsatz des Schülers N zu bemängeln, fallen die Schüler- und die Elternschaft über ihn her und fordern Disziplinarmaßnahmen wegen »Humanitätsduselei« und »Sabotage am Vaterland«. Bei einer Klassenfahrt – de facto einer militärischen Kampfausbildung mit bewaffneten Geländeübungen – kommt die täglich antrainierte Gewalt schließlich offen zum Ausbruch: in Form eines rätselhaften Mordes unter den Schülern.
Eine verstörende Atmosphäre der Angst, in der der Lehrer immer mehr zum Außenstehenden wird und ihm die bereits indoktrinierten Schüler das Vertrauen entziehen. Er fühlt sich beobachtet und bespitzelt und flüchtet sich seinerseits in die innere Abschottung, ins Exil im Kopf, wenn man so will. Der Zerrissenheit zwischen eigenen Moralvorstellungen und der Existenzangst des Lehrers stellen Regisseur Ostermeier und sein Dramaturg Florian Borchmeyer, die des Autors Horváth gegenüber. Der hatte sich 1934 beim Deutschen Bühnenverlag darüber beschwerte, dass sein Stück Die Bergbahn nicht gespielt würde, weil man ihm unterstelle Kommunist zu sein. Horváth bezeichnete das als Verleumdung und bat den Verlag beim Ministerium für ihn zu insistieren, was dieser auch pflichtschuldig tat. Horváths Wunsch, in den Reichsverband Deutscher Schriftsteller aufgenommen zu werden, ging aber nicht in Erfüllung. 1936 musste er endgültig ins Exil. Sein Roman Jugend ohne Gott erschien 1937 in Amsterdam. In der Schaubühne bestimmen schnelle Kostüm- und Rollenwechsel das Spiel.
Die Helden, Kriege und Männer von heute verstehen sich ja ganz anders als zu Horváths Zeit. In Thomas Ostermeiers Adaption des Romans Jugend ohne Gott für die Bühne ringt der Lehrer (Jörg Hartmann) nicht nur mit seinen Schülern, die sich allzu leicht von der Kriegspropaganda betören lassen, sondern auch mit seinem inneren Zwiespalt. Er möchte, wenn schon nicht die Welt, so doch wenigstens seine Schüler vor der barbarischen Zerstörungswut des Krieges retten. Seine kritische Haltung gegenüber der Diktatur, deren schärfstes Messer gerade diese Kriegslust ist, kann ihn jedoch seine Anstellung und damit das Ein- und Auskommen, eventuell sogar das Leben kosten. Die Schüler heißen der Z, der N, der L, der B und der T, der Lehrer ist schlicht der Lehrer. Sie leben in einer Diktatur. Was sich in diesem Klassenzimmer abspielt, so die Botschaft, kann sich, unter bestimmten politischen Vorzeichen, in jedem beliebigen Klassenzimmer ereignen. Das Radio, das Kino, die linientreuen Verwandten und Freunde geben vor, was "man" zu denken hat und die Jungen reden es nach – aus Angst oder Überzeugung.
Jugend ohne Gott von Ödön von Horváth Regie: Thomas Ostermeier Premiere bei den Salzburger Festspielen am 28. Juli 2019 Premiere an der Schaubühne am 7. September 2019 Copyright by Arno Declair In der zweiten Hälfte, in der sich der Mord im paramilitärischen Zeltlager ereignet und eine Gerichtsverhandlung die Tat nur unzureichend aufklären kann, gewinnt der Abend deutlich an Dynamik und Konturen. Vor allem im letzten Drittel werden die Kapitel geschickter kombiniert und verdichtet. Trotz vereinzelter Buhrufe für den regieführenden Intendanten Thomas Ostermeier ist ihm zu attestieren, dass "Jugend ohne Gott" eine handwerklich gelungene Roman-Adaption ist. Sie verströmt zwar keinen großen Theaterzauber und ist vor allem für jene, die den Roman als Schullektüre oder zur Vorbereitung auf den Abend gelesen haben, arm an Überraschungen, kann aber mit einem gut eingespielten Ensemble und einem konsequent durchgehaltenen Erzählfluss punkten. Bilder: Arno Declair
Neid, Konkurrenzkampf und eine heimliche Affäre des Schülers Z mit Eva, der Anführerin einer rebellischen Bande von Gesetzlosen, scheinen als Gründe für die Tat zusammenzuspielen. Der Gerichtsprozess, bei dem Richter wie Staatsanwaltschaft die Falschen vorverurteilen, wirft kein Licht auf den wahren Täter. Umso mehr dafür auf die Gesellschaft, die diesen hervorgebracht hat: ein Panorama der Rücksichtslosigkeit und Kälte, dessen bürgerliche Profiteure das reibungslose Funktionieren totalitärer Strukturen sichergestellt haben.
Es wird viel live gefilmt. Denis Geyersbach, der erst spter seinen Auftritt als Lehrer hat, hlt die Kamera immer wieder dicht vor die Gesichter der Jugendlichen, die dann in oft verfremdeten Groaufnahmen auf der Rckwand zu sehen sind. Darauf werden auch Zwischenberschriften projiziert, die Themen benennen, um die es in den Berichten der Schler geht. Immer wieder tauchen dabei Motive aus Horvaths Roman wie Befragungen der Schler vor Gericht, das paramilitrische Zeltlager, oder die Geschichte mit dem vom Lehrer erbrochenen Kstchen mit dem Tagebuch auf. Inhaltlich geht es aber schon um die Probleme der Jugendlichen, die sich im Anspruch des breiten Wertekanons der heutigen Zeit nicht mehr zurecht finden. So beklagen sie sich darber, dass stets von ihnen erwartet wird, sich kritisch, dabei aber auch immer politisch korrekt zu uern, oder sich fr die Umwelt einzusetzen. Aber auch Kritik am Selbstoptimierungswahn via Instagram und YouTube wird gebt. Es wird gedisst und gemobbt, Diskussionen ber den Gebrauch des N-Worts arten aus und eine Schlerin outet sich selbstbewusst als AfD-Anhngerin.
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