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Wo alle sich immer nur selbst die Nächsten sind, ist Grusche, die Magd, die Verkörperung der überforderten Menschlichkeit. Sie tut, was getan werden muss, auch wenn es über ihre Kräfte geht. Sie ist die Geringste, Schwächste und rettet den Säugling – denn das Kind ist noch schwächer als sie. Niemand hilft ihr, weder Carina Zichner als Köchin noch die Bauersfrau, die Sascha Nathan als grobschlächtigen Jammerknochen gibt, bevor er Grusches Bruder Lavrenti spielt: ein schamloser Schwamm, bigott bis in die karierten Filzpantoffeln. Nathan, Nico Holonics als Grusches Verlobter Simon Chachawa und Veit Schubert als "sterbender Bauer" spielen ausgezeichnet, aber das insgesamt gute Ensemble tröstet nur ein wenig darüber hinweg, dass nicht recht erkennbar wird, was Thalheimer heute noch an Brechts wenig subtiler, aber keineswegs harmloser Fabel interessiert. Thalia Theater - Der Kaukasische Kreidekreis. Das Schicksal der kleinen Leute macht die Inszenierung stark Vollends unklar wird das, wenn Tilo Nest als Azdak die Szene betritt. Der Mönch, der zum Richter wird, sich die Tasche füllt, aber dennoch als Fürsprecher der armen Leute gilt, steht minutenlang auf einem Stuhl, unter dem Morgenrock nur eine lange Unterhose, grimassierend, brabbelnd, mehr Kleists Adam als Brechts Azdak.
Unterdessen sind Grusche und die Gouverneurswitwe erschienen, die beide Anspruch auf Michel erheben. Grusche wird von der Köchin und Simon, der sich als Kindsvater ausgeben will, unterstützt; Natella Abaschwili kommt mit zwei Anwälten, die Azdak Bestechungsgeld zahlen. Natella beruft sich auf die biologische Mutterschaft, doch es wird deutlich, dass sie das Kind braucht, um Zugang zum Erbe ihres Mannes zu erhalten. Grusche bestreitet gegenüber Azdak dessen Befähigung zum Richteramt. Sie wiederholt mehrfach, dass sie das Kind unter Opfern gerettet und aufgezogen habe. Azdak lässt einen Kreis aus Kreide um Michel zeichnen: Die richtige Mutter werde das Kind aus dem Kreis ziehen. Natella Abaschwili zieht an Michel und Grusche lässt dessen Hand sofort los. Der Versuch wird wiederholt und erneut lässt Grusche das Kind los. Sie begründet ihr Handeln damit, dass sie nicht zerreißen könne, was sie großgezogen habe. Der kaukasische Kreidekreis oder eine Liebesgeschichte - Berliner Morgenpost. Azdak erkennt in ihr die wahre Mutter und spricht ihr das Kind zu. Im Anschluss an die Verhandlung folgt er nicht dem Scheidungsantrag eines alten Ehepaares, sondern scheidet Grusche von Jussup.
© pixabay / esdomingos Brechts Parabel über die Frage ob "da gehören soll, was da ist, denen, die für es gut sind" erzählt mit den Mitteln des epischen Theaters eine Geschichte über Verantwortung, Menschlichkeit und einen utopisch vernünftigen Umgang mit Eigentum. Termin keine aktuellen Termine Weitere Termine Auswählen
Es gibt viel Blut, sodass der titelgebende Kreidekreis dann auch ein Blutskreis ist. Das wird alles sehr körperlich und plausibel erzählt, aber man hat von Thalheimer schon konzentriertere Abende gesehen. Langen Applaus gab es trotzdem, vor allem für Stefanie Reinsperger. Das mit ihr und Berlin, das könnte eine großartige Beziehung werden. Berliner Ensemble, Bertolt-Brecht-Platz 1, Kartentelefon 284 08 155. Nächste Termine: 6. und 7. 10., je 19. Kaukasischer kreidekreis berlin.com. 30 Uhr. ( Katrin Pauly)