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Milch und Kohle Roman Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000 ISBN 9783518411261 gebunden, 211 Seiten, 18, 41 EUR Klappentext "Die Lohntüte lag noch auf dem Tisch. Meine Mutter hatte die Arme um die Taille meines Vaters geschlungen, den Kopf an seine Schulter gelegt. Sonnenschein. " Sonnenschein? Nein, "Milch und Kohle" erzählt von einer anderen Welt Ende der sechziger Jahre. Der Vater, ein Hauer unter Tage: "Nur eine Stunde müßtet ihr mal da runter. Gestern bis zum Bauch im Wasser. Nie ein Stück Himmel. " Doch pflichtbewußt fährt er zur Zeche? und trauert dem Leben als Melker in Norddeutschland nach, das er seiner Frau zuliebe aufgegeben hat. "Und warum? " fragt der fünfzehnjährige Simon seine Mutter. "Was ist besser hier, im Ruhrpott? " Die Antwort: "Hier ist Stadt: Asphaltierte Straßen, ein Fernseher, jeden Samstag Tanz bei `Maus`. " Eines Tages bringt der Vater ein paar Kumpel mit nach Hause, die dem Arbeitsalltag so etwas wie Glanz geben mit ausgelassenen Festen. Die Mutter verliebt sich in Gino, den Italiener.
Doch unaufhörlich wächst wildes Gras vor dem Tor des Tempels. " Rothmann kann nicht lassen von der Suche nach den Bedingungen und Umständen, die ihn geprägt haben. Vielleicht erklärt sich das daraus, dass es nichts zu finden gibt. Der Protagonist von "Milch und Kohle" ist ein Beobachter aus der Fremde. Unbeteiligt und willenlos reflektiert der junge Simon die Welt seiner Eltern und Freunde. Bergbau und Bier, Pommesbuden und gehäkelte Klorollenbezüge. Die Jugend ein Film, eine Zwischenstation. Kommen in den Alltagsbeschreibungen auch keine offenen Konflikte zum Vorschein, so tritt doch die Ausweglosigkeit des Lebenskonzepts der Eltern zutage. Ihr Traum vom kleinen Glück in der Stadt zerbricht. Feierabend und Wochenende sind von Exzessen bestimmt, Staublungen und Ratenzahlungen dominieren die gesellschaftliche Situation. Die Welt der Eltern ist in sich abgeschlossen, unflexibel und zum Scheitern bestimmt. Wer mag, kann aus dem tiefen Westen zugleich eine Parabel auf den späteren Niedergang des Ostens herauslesen.
So nah, wie die Vögel, die im Keller von Simons Eltern in großen Käfigen leben. Alleine die Vorstellung, neben den Kohlevorräten für den Winter Volieren stehen zu haben mit Vögeln, die weder Licht noch frische Luft bekommen, ist beklemmend. Und legt den Gedanken nahe, dass die Menschen genau so lebten, wie die Vögel. Nur dass sie auch noch ihre Raten bezahlen mussten. Rothmann ist ein sehr guter Stilist. Der schreibt so plastisch, man sieht die Personen vor sich, die Räume, in die sie gestellt werden, man riecht den Kohl- und Kohlemief. Und er beherrscht die wunderbare Kunst, seinen Protagonisten nahe zu kommen, ohne sie bloß zu stellen. Er urteilt nicht, er beschreibt. Er beschreibt sie als Kinder ihrer Zeit, deren Träume vom Leben zurechtstutzt werden. Ralf Rothmann: Milch und Kohle Suhrkamp Verlag, 2000, 210 Seiten Taschenbuch Suhrkamp, 2002, 210 Seiten
"Wieso sind wir eigentlich nicht auf dem Land geblieben damals. Ich meine, da hatten wir doch alles. Es ging uns gut. " "Ja, alles", sagte sie spöttisch. "Inklusive Kuhmist, Schlamm und Schweinegülle, eine große Grube gleich hinterm Haus. " "Und hier, im Ruhrpott? Hier hast du Schulden, rußige Wäsche und Staublunge, oder was? " "Hier ist Stadt: Asphaltierte Straßen, nette Nachbarn, ein Fernseher und jeden Samstag Tanz bei Maus. " "Wenn er dich lässt", sagte ich. " Um ein wenig Abwechslung in den tristen Alltag zu bringen, lädt der Vater immer wieder Gäste ein: Italiener, die im Ledigenheim wohnen. Sie bringen exotische Gemüsesorten mit, kochen Spaghetti, tischen Rotwein auf und verzaubern die Damen mit flotten Sprüchen und guten Umgangsformen. Die Mutter verliebt sich in Gino. Eine Reihe von Unglücken ereignet sich: bei einer Gasexplosion, durch die ein Stollen einstürzt, werden dem Vater beide Beine gebrochen. Er liegt im Krankenhaus in einem Achtbett-Zimmer. Währenddessen übernachtet Gino in der Wohnung der Eltern.
Traska findet ihn zuerst auf dem Sofa schlafend, später liegt er in Vaters Bett. Traska reagiert darauf sehr stark: er hat immer wieder Absencen, später bekommt er schwere Anfälle. Es liest sich wie Epilepsie, aber es fällt keine Diagnose. Der Arzt sagt, das sei "seelisch. " "Walter, was heiß das denn jetzt? " fragt die Mutter. "Weiß nicht, hat was mit Gefühl zu tun. " Traska, schon immer ein wenig Sorgenkind, hat Angst, die Mutter würde die Familie verlassen. Das wird nicht explizit ausgesprochen, wie alles, was Gefühle angeht, nicht thematisiert wird. Sehr viel wird im Alkohol ertränkt. Das Likörfläschchen steht nicht weit von der Schnapsflasche entfernt, Autofahren ist kein Grund, das Bier stehen zu lassen und unter dieser Decke von leichtem Dauernebel braut sich eine Aggresivität zusammen, die einem Dampfkessel gleichkommt. Simon ist sehr viel mit dem ein wenig älteren Pavel zusammen. Dieser hat im Garten ein Zelt stehen, in dem die beiden Jungs oft übernachten. Er ist auch erst fünfzehn, arbeitet aber schon auf der Zeche und hat ein Moped.
Sie ist gestresst und traurig, steht dann aber doch wieder am Herd und das Leben geht ganz alltagsmäßig weiter. Der Bruder von Simon und Simon, beide streiten sich nahezu täglich. Auch das strapaziert die Nerven der Mutter, die manchmal kurz vor dem zerplatzen steht. Dann wird der Bruder von Simon schwer krank. Er bekommt Epilepsie. Ständig hat er Anfälle, sein ganzer Körper ist völlig unkontrolliert und er liegt hilflos da. Auch das belastet die Familie, die sich immer wieder fragt, warum gerade ihr Junge dieses Leid ertragen muss. Einmal scheint der Anfall sogar so schlimm zu sein, dass die Familie den Notarzt ruft. Aber er lernt mit der Krankheit zu leben. Heilung ist nicht in Sicht, aber glücklicherweise muss er auch noch nicht in frühen Jahren sterben. Weiterlesen Übrigens - Du kannst Liviato unterstützen, indem du deine Bücher bei Amazon über Liviato kaufst. Fenster schließen