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In den Sendungen der 80er Jahre ist der Täter nicht mehr bloß eine Randfigur der Gesellschaft, sondern kommt aus ihrer Mitte, ein liebevoller Ehegatte vergewaltigt fremde Frauen ("Der Mann im Baum", 1988) ein ordentlich erzogener junger Mann verführt und mordet kleine Jungs ("Der Kreuzworträtselfall", 1988). Auf 35 Millimeter Filmmaterial gedreht, liefen viele Filme sogar in den Kinos der sozialistischen Bruderländer. Selbst in den arabischen Staaten, in Finnland und in Spanien konnte man den "Polizeiruf" sehen – bis zur Abwicklung des Deutschen Fernsehfunks 1991. Nach 20 Jahren und 153 Fällen schien das Schicksal der Reihe besiegelt. Zwei Jahre später tauchte sie wieder auf, ORB und MDR wagten einen erneuten Anlauf in das vereinte Deutschland. Mit Erfolg. 1994 schaffte es der "Polizeiruf 110" neben dem "Tatort" auf den Sonntagabendplatz. Es ist das einzige Format des DDR-Fernsehens, das in die ARD übernommen wurde. Bis heute sind 320 Filme mit 109 Ermittlern gelaufen. Mit 84 Folgen und 20 Dienstjahren bleibt Peter Borgelt als DDR-Hauptmann Fuchs der unangefochtene Spitzenreiter in der Ermittler-Skala.
Anders als im "Tatort" aber blieb beim "Polizeiruf 110" völlig unklar, was die Beamten nach Dienstschluss taten, ein Privatleben war nicht vorgesehen. Im Mittelpunkt standen immer die Persönlichkeiten der Opfer und der Verdächtigen. Beliebte und ausdrucksstarke Darsteller wie Jürgen Frohriep, Günther Naumann, Jürgen Zartmann, Andreas Schmidt-Schaller, Lutz Riemann und Siegrid Göhler, die in 46 Folgen dabei war, gaben ihren Figuren auch ohne biografisches Hinterland unverwechselbare Konturen. Zur Symbolfigur der ganzen Reihe wurde der unvergessene Peter Borgelt. Als Kriminalhauptkommissar Peter Fuchs spielte er von 1971 bis 1991 in 84 "Polizeiruf"-Folgen. Mit seinem Trenchcoat, seinem sehr menschlichen, nie auftrumpfenden Spiel, mit seiner Natürlichkeit wurde er zu einem der ganz großen Fernsehstars der DDR, ein ostdeutscher Maigret. Tradition neu belebt Mit dem Ende der DDR und ihres Fernsehens schien auch das Aus für den "Polizeiruf" gekommen zu sein. Doch der NDR, die neu gegründeten Anstalten MDR und der ORB, in Kooperation mit dem SFB, traten nach einer Pause von über einem Jahr das Erbe an.
Kamen am Anfang der Reihe die Verdächtigen oft vom Rande der Gesellschaft, fand man sie nun mitten im Volk, und manchmal, wie in "Variante Tramper" (1989), erwiesen sich auch die Vorurteile der sozialistischen Ermittler als Hindernis bei der Suche nach dem Täter. Ost und West finden sich Gelöst von den ideologischen Fesseln, entstanden in den Wende- und Nachwendejahren bis heute legendäre Folgen. In "Unter Brüdern" (1990) treffen die Ost-Ermittler Fuchs und Grawe (Peter Borgelt und Andreas Schmidt-Schaller) auf ihre West-Pendants Schimanski und Thanner (Götz George und Eberhard Feik). Die Folge war ein Crossover mit dem Ruhr-"Tatort". Ost und West beschnuppern sich, baden in Klischees und finden sich auf den ersten Blick gar nicht so fremd. Auf den zweiten Blick wird alles schwieriger: In "Thanners neuer Job" (1991) kommt der Schimanski-Sidekick als neuer Boss ins Ostberliner Kommissariat, er muss evaluieren, bewerten, abwickeln. "Soll er uns jetzt beibringen, wie wir zu ermitteln haben?
Gleich bei seinem ersten Einsatz als "Hauptmann Beck" musste er einen der spektakulärsten Fälle in der "Polizeiruf"-Geschichte lösen: den "Kreuzworträtselfall". Der Film beruhte auf einer wahren Begebenheit. Naumanns "Hauptmann Beck" überstand die Wende und wurde erst 1995 pensioniert. Bildrechte: dpa Jürgen Frohriep war bei der DEFA bis Anfang der 1970er-Jahre festgelegt auf die Rolle des jungen Landsers. 1972 ging er zum Fernsehen der DDR und spielte bis 1991 den "Oberleutnant Hübner" im "Polizeiruf". Danach blieben die Rollenangebote aus, Frohriep war nicht mehr gefragt. 1993 wurde er tot in seiner Wohnung aufgefunden. (Im Bild: Szene aus "Polizeiruf 110: Keine Liebe, kein Leben" mit Oberleutnant Hübner (li. Jürgen Frohriep). Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK Der Schauspieler Horst Krause musste sich in seiner Rolle als "Polizeiruf"-Hauptmeister gar nicht erst an einen neuen Namen gewöhnen. Er heißt: Horst Krause. Seit 1998 ("Das Wunder von Wustermark") ermittelt der gewitzte und bauernschlaue Krause im Brandenburgischen - in viel zu enger Uniform, mit einem komischen Helm auf dem Kopf und an seiner Seite stets ein Hund mit Namen Mücke.